Was wirklich wirkt – Natalie Grams über sanfte Medizin
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Faktencheck Homöopathie Naturheilkunde
Das neue Buch einer angeblichen Ex-Homöopathin, die seit ihrer wundersamen Bekehrung zur allein selig machenden Schulmedizin eine PR-Kampagne gegen Naturheilkunde & Co. leitet, verspricht Orientierung in der Welt der Medizin auf der Grundlage von Fakten. Verschiedene Therapieverfahren aus dem Bereich Naturmedizin werden kritisch beleuchtet. Wird Grams‘ Werk dem Anspruch gerecht, medizinische Halbwahrheiten aufzudecken?
Das Wichtigste gleich zu Anfang: Nein, wird es nicht. Statt einer allseitig kritischen Auseinandersetzung mit Schulmedizin und Naturmedizin auf wissenschaftlicher Basis, präsentiert das Buch unbelegte Negativbehauptungen zu Therapieverfahren von Anthroposophischer Medizin bis Zen-Meditation: Alles unwirksam und gefährlich. Ansonsten singt Grams ein ebenso wissenschaftsfernes Loblied auf die konventionelle Medizin von Antibiotika bis Zytostatika: Hier ist alles in bester Ordnung. Moment mal, „unbelegte Behauptungen“ in einem Ratgeber, dessen Aushängeschild „die Wissenschaft“ ist? Tja, das Werk lässt leider sämtliche Quellenangaben vermissen. Klinische Studien, Artikel aus medizinischen Fachzeitschriften, zuverlässige Informationen zum Selbernachprüfen? Alles Fehlanzeige. Eigentlich erübrigt sich jetzt eine weitere Auseinandersetzung mit diesem bloßen Meinungspamphlet, das sich wie eine verkappte Werbebroschüre der Pharmaindustrie liest. Wegen der Manipulationsgefahr sollen den in der Luft schwebenden Thesen von Frau Grams im Folgenden aber anhand einiger Beispiele wissenschaftliche Fakten gegenüberstellt werden, mit Quellenangaben, versteht sich.
Wofür? Beispiel Grippeimpfung
Kaum eine Therapie wird in Grams‘ Buch mit derart starken Worten gepriesen wie Impfungen, und zwar ausnahmslos alle: “Wir wissen so viel über Impfungen wie über kaum eine zweite medizinische Errungenschaft, und wir wissen nicht nur viel, die Fakten sprechen auch eine eindeutige Sprache: Impfen schützt.“ [1] An dieser Stelle soll keine Diskussion über Wirksamkeit und Sicherheit von Impfungen im Allgemeinen geführt werden, da pauschale Betrachtungen bei diesem Thema nicht zielführend sind. Jeder einzelne Impfstoff ist eben ein Arzneimittel mit speziellen Eigenschaften, die untersucht werden müssen. Nur so viel: Die wissenschaftlichen Befunde deuten darauf hin, dass es Impfungen gibt, deren Nutzen das Risiko von Nebenwirkungen deutlich überwiegt. Bei anderen verhält es sich vermutlich genau umgekehrt. Hilfreich wäre daher eine differenzierte Betrachtung, die auf der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz beruht. Eine solche leistet bspw. der renommierte Medizinforscher Peter Gøtzsche in seinem jüngst erschienenen Buch „Vaccines: truth, lies and controversy“[2], das frei von Ideologien in jeder Richtung die Studienlage sichtet und bewertet.
Quelle: https://bit.ly/2I4uihu
Anders Frau Grams, die es nicht nur versäumt, sich mit den Daten auseinanderzusetzen, sondern versucht, dem Leser Sand in die Augen zu streuen und das Thema stark moralisch aufzuladen. In Bezug auf Influenza-Impfstoffe bspw. wird behauptet: „Ein guter Grippeschutz, insbesondere für Kinder, Schwangere, Menschen mit chronischen Erkrankungen und ältere Leute, ist nur mit rechtzeitigen Schutzimpfungen zu haben. Alle anderslautenden Behauptungen könnten auch von Andrew Wakefield[3] stammen.“[4] Starke Worte! Aber auf welchen wissenschaftlichen Fakten beruht diese Behauptung?
Zu Grippeimpfungen bei älteren Menschen bspw. liegt eine Übersichtsarbeit der Cochrane-Collaboration vor, die den State of the Art der Forschung repräsentiert. Diese Arbeit kommt zu folgendem Ergebnis: „Ältere Erwachsene, die den Influenza-Impfstoff erhalten, haben möglicherweise ein geringeres Influenza-Risiko (6% bis 2,4%)[.] Die Evidenz für ein geringeres Risiko für Influenza […] wird durch Verzerrungen im Design oder in der Durchführung der Studien begrenzt. […] Die verfügbaren Untersuchungen zu Nebenwirkungen sind von schlechter Qualität, unzureichend oder alt und bieten keine klaren Leitlinien für die öffentliche Gesundheitsfürsorge in Bezug auf die Sicherheit oder Wirksamkeit von Influenza-Impfstoffen für Personen ab 65 Jahren.“[5] Entscheiden Sie bitte selbst, ob Grams‘ Behauptungen in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit von Grippeimpfungen bei älteren Menschen sich mit der besten verfügbaren Evidenz decken, die hier zitiert wurde.
Dieses Beispiel steht für das ganze Buch: Völlig unkritisch wird konventionellen medizinischen Verfahren das Wort geredet, auch wenn die wissenschaftlichen Fakten eine ganz andere Sprache sprechen. Es gibt ohne Frage sehr segensreiche schulmedizinische Therapien, aber es gibt auch viel Schädliches und Teures auf dem Markt. Dasselbe gilt für die Naturmedizin: Nicht alles, was glänzt, ist Gold. Insofern wäre ein Buch, das den Anspruch tatsächlich einlöst, den „Was wirklich wirkt“ erhebt, eine lohnenswerte Sache für Ratsuchende. Dann müsste allerdings vorurteilsfrei auf allen Seiten mit demselben Maß gemessen werden. Das Perfide ist, dass diejenigen unter Grams‘ Lesern, die sich nicht die Mühe machen, unabhängige Quellen zu Rate zu ziehen, ihren wahrheitswidrigen Darstellungen aufsitzen könnten. Dies geschieht umso mehr, je stärker es Grams gelingt, sich als Aufklärerin zu inszenieren, die innerhalb ihres Narrativs genau diese unabhängige Instanz verkörpert. Tatsächlich trägt sie „die Wissenschaft“ aber nur als Popanz vor sich her, um ihre Geschichte zu verkaufen und faktenbasierten Prüfungen ihrer Behauptungen vorzubeugen.
Quelle: https://bit.ly/2uPb1Oc
Schöne neue Welt
Kurze Erwähnung soll in diesem Zusammenhang noch der Abschnitt des Buchs finden, der sich mit Chemotherapie und Krebs beschäftigt, weil hier die Schlagseite, die prägend für das Gesamtwerk ist, voll zur Geltung kommt. In Bezug auf Zytostatika – Zellgifte, die in der Tumortherapie eingesetzt werden – behauptet Grams: „In den vergangenen zwanzig Jahren wurden auf diesem Gebiet große Fortschritte erzielt [u]nd es wird mit großem Aufwand daran gearbeitet, die Verträglichkeit der Behandlung immer weiter zu individualisieren und zu verbessern. Auch an der Maximierung der Effektivität wird intensiv geforscht. Die Wirkung der Zytostatika allein auf Krebszellen zu beschränken, gelingt in Ansätzen[.] Die Forschung schreitet in diesem Feld immens schnell voran[.]“[6] Dieser Text könnte einer Werbebroschüre der forschenden Arzneimittelhersteller entnommen sein: „Großer Aufwand“, „Maximierung der Effektivität“, „immens schnell“… Ohne jede Bezugnahme auf harte wissenschaftliche Fakten wird allein durch die Wortwahl der Eindruck vermittelt, wir befänden uns auf der Zielgeraden zur Entwicklung wirksamer und sicherer Zytostatika – Schöne neue Welt der Krebstherapie.
Die Wahrheit ist, dass eine Übersichtsarbeit aus 2004, die Studien zu Zytostatika sichtete und versuchte, die Auswirkung dieser Arzneimittel auf die Überlebenszeit zu berechnen, bereits feststellte: „Der Gesamtbeitrag der kurativen und adjuvanten zytotoxischen Chemotherapie zum 5-Jahres-Überleben bei Erwachsenen wurde in Australien auf 2,3% und in den USA auf 2,1% geschätzt. Um die fortgesetzte Finanzierung und Verfügbarkeit von Arzneimitteln für die zytotoxische Chemotherapie zu rechtfertigen, ist eine strenge Bewertung der Kosteneffektivität und der Auswirkungen auf die Lebensqualität dringend erforderlich.“[7]
Aber die „immens schnelle“ „Maximierung der Effektivität“ wird doch wohl…
2004 ist bereits eine Weile her. Was hat sich seitdem getan? 2017 prüfte ein Forscherteam, welche Vorteile Krebsarzneimittel bieten, die von der Europäischen Kommission zwischen 2009 und 2013 neu zugelassen wurden: „Diese systematische Bewertung […] zeigt, dass die meisten Arzneimittel ohne Nachweis eines Vorteils für das Überleben oder die Lebensqualität auf den Markt kamen. Mindestens 3,3 Jahre nach dem Markteintritt gab es weiterhin keine schlüssigen Belege dafür, dass diese Medikamente bei den meisten Krebsindikationen die Lebensdauer verlängerten oder die Lebensqualität verbesserten. Wenn es Überlebensgewinne gegenüber bestehenden Behandlungsoptionen oder Placebo gab, waren diese meist vernachlässigbar.“[8] Fast gleichlautend eine Analyse zu Chemotherapien, die in den USA durch die Food and Drug Administration (FDA) zugelassen wurden, ebenfalls aus 2017, erschienen in JAMA Internal Medicine, einer in Forscherkreisen hoch angesehenen Fachzeitschrift: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die FDA möglicherweise viele teure, toxische Medikamente genehmigt, die das Gesamtüberleben nicht verbessern.“[9]
Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass es für bestimmte Krebsarten, -stadien bzw. -patienten nachweislich effektive Chemotherapien gibt, deren Einsatz sich offenbar lohnt. Für welche dies gilt, ist mitunter nicht leicht herauszufinden, weil nur 6% der ganzen Onkologie überhaupt durch hochwertige Studien abgesichert sind.[10] Stand der Forschung ist also: Viele Chemotherapien bringen wenig, senken die Lebensqualität mitunter enorm und kosten viel Geld. Daher berichtet auch das renommierte naturwissenschaftliche Fachjournal Nature aktuell unter dem Titel „Unsere besten Waffen gegen Krebs sind keine Wundermittel - Eine bessere Gesundheits- und Sozialpolitik würde mehr Leben retten als Hightech-Medikamente“.[11] Es wäre schön, wenn tatsächlich zuträfe, was Natalie Grams über die Errungenschaften der modernen Medizin schreibt, aber es ist in der präsentierten Einseitigkeit einfach nicht wahr.
Quelle: https://bit.ly/38c3hn7, created by Uwe Kils (iceberg) and Wiska Bodo (sky)
Die Spitze des Eisbergs
Nachdem Frau Grams auf über 200 Seiten pauschale Lobhudeleien der Schulmedizin und ebenso pauschale Aburteilungen der Naturmedizin zum Besten gibt, widmet sie sich zum Schluss des Buches auf 33 Seiten einzelnen komplementären Verfahren, von Osteopathie bis Schüßler-Salze. Grams‘ Botschaft: Die ganze Palette der Komplementärmedizin beruhe auf Lug und Trug. Evtl. vorhandene Positiveffekte seien ausschließlich auf therapeutische Zuwendung und Einbildung des Patienten zurückzuführen. Das alles habe „die Wissenschaft“ klar gezeigt. Somit könnten all die naturmedizinischen Behandlungsformen, mit denen Menschen tlw. seit Jahrtausenden gute Erfahrungen machen, einfach auf den Müllhaufen der Medizingeschichte entsorgt werden. Übrigbleiben soll eine Medizin, die fast ausschließlich auf synthetische Arzneimittel und Chirurgie setzt. Ein bisschen menschlicher darf sie allerdings werden, bspw. indem der Patient etwas mehr als 7 Minuten Gesprächszeit beim Therapeuten erhält.
Spätestens mit Erscheinen des aktuellen Werks sollte also jedem klar werden, dass der seit einigen Jahren von Natalie Grams inszenierte Feldzug gegen die Homöopathie nur die Spitze des Eisberges war: Die Homöopathie ist gewissermaßen das schwächste Glied in der Kette der bewährten naturmedizinischen Therapien, weil ihr Wirkprinzip sich bislang nicht zufriedenstellend naturwissenschaftlich erklären lässt. Worum es wirklich geht, ist die Etablierung einer schulmedizinischen Monokultur, ohne Therapiefreiheit, ohne gesundheitliche Selbstbestimmung - Einfalt statt Vielfalt. Dieser unangenehme Dogmatismus spricht den Patienten jedwede Mündigkeit ab und bedient letztlich die monetären Interessen der Pharmaindustrie. Es handelt sich um ein durch und durch undemokratisches Modell, das einigen wenigen auf Kosten der Allgemeinheit nützt, die ja völlig unmissverständlich eine Integrative Medizin fordert, bei der Schulmedizin und Naturmedizin auf Augenhöhe zusammenarbeiten.[12] Aber nicht nur das Ziel, auf das Frau Grams zusteuert, gleicht einer imperialistischen Schreckensvision. Auch die ganze Basis ihrer Argumentation ist faul. Denn die Gegenüberstellung von hervorragend wissenschaftlich abgesicherten konventionellen Verfahren und „Esoterik“ auf der anderen ist konstruiert und entspricht nicht den wissenschaftlichen Fakten.
Quelle: https://bit.ly/2wTiufH, Wellcome Collection gallery
Wogegen? Beispiel Akupunktur
Am Beispiel der Akupunktur sollen daher im Folgenden die Behauptungen von Natalie Grams zu naturmedizinischen Verfahren mit den verfügbaren Daten aus klinischen Studien abgeglichen werden. Angeblich „liegt die Erfolgsquote von Akupunktur in den allermeisten Fällen nicht höher als die von Scheinbehandlungen“. Das leuchte auch ein, denn die Existenz von Akupunkturpunkten habe noch nie jemand nachweisen können. Studien, die eine Wirksamkeit von Akupunktur über Placeboeffekte hinaus nahlegten, kämen alle aus China und seien daher unglaubwürdig.[13]
Hierzu ist zunächst zu sagen, dass die Theorie der Akupunktur nichts mit ihrer klinischen Wirksamkeit zu tun hat: Selbst wenn es weder einen Qi-Fluss noch Meridiane gäbe, könnte das Nadeln effektiv sein. Der Trick mit dem hier gespielt wird, beruht auf dem sog. Plausibilitäts-Bias[14]: Menschen neigen dazu, Dinge verzerrt wahrzunehmen bzw. auszublenden, die sie sich nicht gut erklären können. In Bezug auf medizinische Verfahren heißt das: Forschungsbefunde werden u.U. nicht oder stark eingefärbt zur Kenntnis genommen, wenn der Wirkmechanismus der untersuchten Therapie unplausibel erscheint. Es steht jedem frei, das Welt- und Menschenbild der Traditionellen Chinesischen Medizin für plausibel oder eben unplausibel zu halten. Im Hinblick auf die Akupunktur muss man sich aber schon sehr anstrengen, um die Evidenzlage dermaßen verzerrt wahrzunehmen, wie Frau Grams es tut.
Nur das Beste
Beschränken wir uns auf Cochrane-Reviews, also die hochwertigsten medizinischen Forschungsarbeiten, die unter Wissenschaftlern weltweit als Referenzdokumente betrachtet werden. Diese Übersichtsarbeiten fassen den jeweiligen Forschungsstand zu einem Therapieverfahren zusammen und bewerten die eingeschlossenen klinischen Studien im Hinblick auf ihre methodische Qualität. Als zuverlässig gelten nur Studien, die eine Kontrollgruppe haben, die am besten eine Placebobehandlung erhält. Im Falle der Akupunktur ist das hierher gehörige Standardinstrument die sog. „Sham-Akupunktur“, bei der zumeist echte Nadeln gestochen werden, aber nicht in die nach Lehre der Akupunktur vorgeschriebenen Punkte für das jeweilige Krankheitsbild. Die Cochrane-Reviews zur Akupunktur wurden zuletzt 2013 zusammenfassend in den Blick genommen[15]:
Die Forscher fanden 9 Übersichtsarbeiten, die eine Wirksamkeit des Nadelns auf mindestens akzeptablem methodischen Niveau demonstrieren. Dies gilt für Nervenerkrankungen, Magen-Darm-Beschwerden, Krankheiten des Bewegungsapparates, des Urogenitaltraktes sowie bei Zuständen, die mit Schwangerschaft und Geburt zu tun haben. Der Vorwurf, dass die Chinesen evtl. nicht ganz objektiv bei der Bewertung der Akupunktur, die gewissermaßen nationales Kulturgut ist, sein könnten, wurde direkt mituntersucht - Ergebnis: Es finden sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Verwendung chinesischer Quellen oder die Beteiligung chinesischer Forscher irgendeinen verzerrenden Einfluss auf die Ergebnisse von Cochrane-Reviews zur Akupunktur haben.
Ist Frau Grams diese Arbeit bei der Recherche zu ihrem Buch vielleicht einfach entgangen? Kaum vorstellbar, denn sie erscheint ganz oben und mit Rahmen hervorgehoben in den Google-Suchergebnissen, wenn man „systematic review cochrane acupuncture“ eingibt.
Ist das ihr Ernst?
Lässt man das Wort „systematic“ weg, ist der erste Treffer ein Überblick von Cochrane-Reviews zu Akupunktur bei verschiedenen Schmerzzuständen aus 2011.[16] Diese Arbeit ist hier, obwohl noch etwas älter, von besonderem Interesse, weil sie von Edzard Ernst stammt. Dieser mittlerweile emeritierte Professor ist über die sog. „Skeptikerbewegung“ eng mit Natalie Grams verbandelt und wird von Gegnern der Naturmedizin als die wissenschaftliche Autorität schlechthin angesehen. Denn er ist dafür bekannt, dass er kein gutes Haar an komplementären Therapieverfahren lässt. Analysen seiner Publikationen durch unabhängige Wissenschaftler gelangen zu der Schlussfolgerung, dass er Fallberichte nachweislich falsch darstelle[17, 17a] und Daten willkürlich verändere oder auslasse[18]. Er selbst behauptet mitunter über methodisch hochwertige Studien zur Komplementärmedizin, die nicht die Negativ-Ergebnisse erbringen, die er erwartet, sie sähen zwar nach wissenschaftlichen Maßstäben überzeugend aus, seien aber dennoch ‚unglaubwürdig‘.[19] Im Falle der Akupunktur konstatiert aber sogar Ernst: „In letzter Zeit wurden mehrere Cochrane-Reviews zur Akupunktur bei einer Vielzahl von Schmerzzuständen veröffentlicht. Alle diese Arbeiten waren von hoher Qualität. Ihre Ergebnisse legen nahe, dass Akupunktur bei einigen, aber nicht allen Arten von Schmerzen wirksam ist.“ Positive Evidenz liege bspw. zu Migräne und Spannungskopfschmerzen, Nackenschmerzen und peripherer Gelenkarthrose vor.
Summa summarum
Um den Blick zu weiten und möglichst alle verfügbaren Forschungsbefunde zur Akupunktur in den Blick zu bekommen, wenden wir uns zum Schluss dem „Acupuncture Evidence Project“ zu.[20] Es handelt sich um einen 84-seitigen Forschungsbericht aus 2017, der zwei frühere, groß angelegte Übersichtsarbeiten zur Akupunktur, eine im Auftrag der australischen, eine im Auftrag der amerikanischen Regierung, zusammenfasst und aktualisiert. Die Wissenschaftler konzentrierten sich auf möglichst hochwertige Forschungsarbeiten und klassifizierten die Krankheitsbilder, zu denen es Akupunkturstudien gibt, danach, ob jeweils „starke“, „mäßig gute“, „schwach positive/unklare“ oder „wenig/keine“ Belege für eine Wirksamkeit vorliegen. Eine „starke“ Beleglage bedeutet in diesem Zusammenhang, dass bereits Übersichtsarbeiten mehrerer klinischer Studien vorliegen, in denen „konsistent statistisch signifikante, positive Effekte [gemessen wurden] und die Autoren die Behandlung [mit Akupunktur] empfohlen haben.“
Das Acupuncture Evidence Project fand verwertbare Informationen zu 122 verschiedenen klinischen Zuständen: In 8 Fällen wurde die Beleglage als stark eingestuft, in 38 Fällen als mäßig, in 71 Fällen als schwach positiv und in 5 Fällen gab es nur wenige oder keine Daten, welche die Wirksamkeit von Akupunktur belegten. Darüber hinaus fanden die Autoren ausreichende Belege für die Kosteneffektivität von Akupunktur bei 10 Krankheiten und stellten fest, dass das Verfahren in den Händen ausgebildeter Therapeuten laut Studienlage sicher ist.
Quelle: https://bit.ly/3ciXKhV
Wir halten fest: Natalie Grams hat es offenbar nicht geschafft, die beste wissenschaftliche Evidenz zur Akupunktur zu finden, obwohl Google diese ohne größere Umstände sofort ausspuckt – Oder verschweigt sie diese Informationen Ihren Lesern etwa vorsätzlich? – Eine leicht auffindbare Arbeit, die nur Cochrane-Reviews sichtet, klärt auch gleich darüber auf, dass die Chinesen, entgegen der Grams’schen Behauptung, vermutlich nichts damit zu tun haben, wenn hochwertige Übersichtsarbeiten zugunsten der Akupunktur ausgehen. Frau Grams ist weiterhin entgangen, dass selbst ihr Gesinnungsgenosse Edzard Ernst, welcher der Naturmedizin, sagen wir mal wohlwollend, „sehr kritisch“ gegenübersteht, im Falle der Akupunktur ausnahmsweise kein unqualifiziertes Verdammungsurteil ausspricht. Er räumt, im Gegenteil, methodisch hochwertige Wirksamkeitsbelege bei unterschiedlichen Erkrankungen ein. Zu guter Letzt ist unserer Faktenfinderin „im Dschungel medizinischer Halbwahrheiten“[21] [sic!] auch der größte aktuelle Forschungsbericht zur Akupunktur entgangen, der nach umfassender Datenanalyse schlussfolgert: „Es ist nicht länger möglich, zu behaupten, die Wirksamkeit von Akupunktur beruhe auf Placeboeffekten.“[22] Made my day!