Die gestresste Seele
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Mentale Gesundheit Naturheilkunde Integrative Medizin
Wenn ein naturheilkundlicher Internist (Selbstbeschreibung des Autors Professor Dobos) sich auf das Gebiet der seelischen Gesundheit wagt und im Vorwort der erste Satz lautet „das Denken – Sie haben es vielleicht schon geahnt – wird überschätzt“, darf man ein ungewöhnliches Buch erwarten.
Die gestresste Seele: Der Inhalt
Um es gleich vorwegzunehmen, ein ungewöhnlich gutes Buch ist es geworden. Überschrieben ist das Vorwort übrigens mit „Ich fühle, also bin ich“ und diese Formulierung ist programmatisch: auf 264 Seiten in 11 Kapiteln geht es um den Stellenwert und die Bedeutung der Gefühle für die Menschen des 21. Jahrhunderts. Kapitelüberschriften und Zwischentitel sind eingängig formuliert, blau unterlegte Kernsätze im Text geben beim Lesen Halt (nur auf S. 91 bricht die blaue Unterlegung vorzeitig ab). Fallbeispiele aus der naturheilkundlichen Klinik des Autors verdeutlichen die theoretischen Ausführungen.
Es ist zu spüren, dass diese Aussagen intensiv mit Vertretern vieler Disziplinen (u.a. Medizin, Naturwissenschaften, Ordnungstherapie, Psychologie und Physiotherapie) diskutiert wurden, sie bestechen durch ihre Klarheit und Verständlichkeit. Trotz der komplizierten Sachverhalte und unvermeidlichen Fachausdrücke liest sich das Buch leicht, sicher ein Verdienst der Co-Autorin Dr. Petra Thorbrietz.
Über Antonio Damasio zum Unterschied zwischen Emotionen und Feelings
Das Buch nimmt ausdrücklich die Gesundheit ins Visier und bietet in Form eines 8-Wochen-Programms vielfältige naturheilkundliche Empfehlungen zur Selbstbehandlung aus den Bereichen Ernährung, Entspannung und Bewegung. Warum gerade naturheilkundliche Techniken hilfreich für die seelische Gesundheit sein können, zeigt Professor Dobos in den ersten Kapiteln auf. Er geht dabei von den Forschungen des portugiesischen Neurowissenschaftlers Antonio Damasio zu so genannten Feelings aus. Im Gegensatz zu nach außen gerichteten Reaktionen (Emotions) wie Zusammenzucken, erschreckt sein oder rot werden, sind Feelings Abbildungen unserer Körpereindrücke (z.B. Herzschlag, Atmung, Verdauung) und Erfahrungen, also eher nach innen gerichtet.
Feelings sind normalerweise eher unbewusst, sie können aber zu Vorstellungen werden, ins Bewusstsein kommen und so Verhalten auslösen, ich fühle, also bin ich. Feelings tragen dazu bei, stets ein dynamisches Gleichgewicht der Körperfunktionen zu erhalten und zielgerichtetes Handeln in allen Lebenslagen zu ermöglichen. Zu dieser Konstruktion gehört aber auch, dass durch Rückkoppelung auch negative Verhaltensweisen verfestigt werden können, vereinfacht: Ein schlechtes Körpergefühl macht (seelisch) krank. Die gute Nachricht: Positive Körpergefühle können eingeübt werden durch entsprechende Lebensweise und Anwendungen für die gestörten Funktionen des Körpers. Überraschen mag, an wie vielen Stellen des Körpers sich derart wirksame Feelings finden, von der Zusammensetzung der Darmbakterien (Mikrobiom) über die schon erwähnten Brustorgane, Muskelverspannungen bis zu Narben auf der Haut.

Die gestresste Seele
Scorpio Verlag, München, 2020
5. Edition (9. Oktober 2020)
264 Seiten, Preis: 20,-- € (gebundene Ausgabe)
ISBN-13: 978-3958033337

Unsere Wertung: Ausgezeichnet
Es ist auch als e-Book (15,99 €) und Hörbuch (12,19 €) verfügbar.
Beim Hörbuch handelt es sich allerdings um eine gekürzte Lesung (Sprecher Clemens Benke) ,das „8-Wochen-Programm für mentale Stärke" ist darin nicht enthalten!
Mangel an Berührungen kann krank machen
Welche besondere Bedeutung in diesem Zusammenhang der Haut als Sinnesorgan und speziell Berührungen zukommt, erläutert Professor Dobos am Beispiel des Social Distancing im Rahmen der Corona-Pandemie im 3. Kapitel: Mangel an Berührungen kann krank machen.
An dieser Stelle kommt die Naturheilkunde ins Spiel, denn zahlreiche Verfahren aus dem Bereich der Komplementärmedizin wirken über die Haut (z. B. Einreibungen, Massagetechniken, Akupunktur oder Neuraltherapie). Aber auch andere gestörte Feelings lassen sich naturheilkundlich angehen, sei es durch Ernährungsumstellung, Bewegungstherapie, Pflanzenheilkunde, Atemtherapie oder Entspannungsverfahren. Bemerkenswert ist, dass die Ausführungen von Professor Dobos keineswegs spekulativ sind, sondern durch weltweite Studienergebnisse abgesichert werden (positive Evidenz). Dies gilt im Zusammenhang mit der seelischen Gesundheit in besonderem Maße auch für die Ordnungstherapie/Mind-Body-Medizin (MBT) mit ihrem zentralen Element der Achtsamkeit.
All diese Befunde führt Professor Dobos im 10. Kapitel mit dem Titel „Sich selbst lieben lernen und gesund bleiben“ zusammen. Er zeigt auf, dass Resilienz, die Fähigkeit aus Krisen und Schicksalsschlägen geistig gestärkt herauszukommen, maßgeblich mit achtsamem Selbstmitgefühl zu tun hat. Die praktische Umsetzung folgt im – umfangreichsten und gewichtigsten – Kapitel 11: „Ihr persönliches 8-Wochen-Programm: für bessere seelische Gesundheit und mehr Glücksgefühle“. Dieses umfassende Programm mit Selbsttests wurde in der Klinik von Professor Dobos entwickelt von Dr. rer. medic. Anna Paul, Leiterin der Mind-Body-Medizin in der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Kliniken Essen-Mitte und der Ernährungswissenschaftlerin und der Mind-Body-Therapeutin Christiane Pithan M.sc.. Es vereint Elemente der Mind-Body-Medizin, Ernährungstherapie (incl. “Dobos-Müsli“) und Bewegungslehre und lässt sich problemlos in den Alltag integrieren.