Naturheilkunde
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Gedanken zum 100. Geburtstag von Dr. Veronica Carstens

Gedanken zum 100. Geburtstag von Dr. Veronica Carstens

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Integrative Medizin Naturheilkunde

Gleich zwei Geburtstage können die treuen Mitglieder von Natur und Medizin feiern: das 40-jährige Gründungsjubiläum des Fördervereins und den 100. Geburtstag der Frau, die der Anlass für dieses außergewöhnliche und mutige Engagement in Sachen Naturheilkunde und Homöopathie ist – Dr. Veronica Carstens.

Sie war eine bemerkenswerte Frau, auch über ihre Generation hinaus, Vertreterin einer menschlichen Medizin, aber durchaus auch Befürworterin der Wissenschaft. Sie setzte sich für eine Integrative Medizin ein, die Verbindung von wissenschaftlichem Denken und Erfahrungsmedizin – als dieser Begriff, der später aus den USA in den 90er-Jahren nach Deutschland kam, noch gar nicht erfunden war. In diesem Sinne ist ihre Intention aktuell geblieben, in einer Zeit, in der die Hochleistungsmedizin an ihre Grenzen stößt, weil die Medizin sich neuen Herausforderungen stellen muss: der wachsenden Zahl chronischer Erkrankungen, der Klimakrise, der Pandemiegefahr. Prävention und Resilienz – also die Entwicklung von mehr Widerstandskraft – stehen heute im Mittelpunkt der Diskussion, in welche Richtung man das Gesundheitssystem reformieren soll und muss.

Als Veronica Carstens 1981 gemeinsam mit ihrem Mann Karl Carstens, dem damaligen Bundespräsidenten, mit ihrem Vermögen die Grundlagen für eine Stiftung schuf und zwei Jahre später der Förderverein hinzukam, lag ein ähnlicher Umbruch in der Luft. Die Gentechnik zeichnete sich am Horizont ab, mit großen Hoffnungen, neuen analytischen Verfahren, aber auch vielen bioethischen Fragestellungen. Das erste Retortenbaby kam zur Welt, die Erfindung der Magnetresonanztomographie ermöglichte ganz neue Einblicke in das Gehirn. Vielleicht war es der Eindruck dieser bahnbrechenden Entwicklungen der Hochleistungsmedizin, der dazu führte, dass der Förderverein Natur und Medizin so rasch so viele Mitglieder bekam, denen daran lag, dass das Erfahrungswissen der Naturheilkunde wie auch der Homöopathie nicht von der Entwicklung abgekoppelt werden sollte. Zudem hatte der Contergan-Schock zu einem neuen, deutlich verschärften Arzneimittelgesetz geführt, das Pharmazeutika sicherer machte, aber gleichzeitig auch viele pflanzliche Mittel die Zulassung kostete: Entweder ließ sich keine Monosubstanz als Hauptwirkstoff nachweisen, weil Pflanzen eben Vielstoffgemische sind, oder den Herstellern fehlten die enormen finanziellen Mittel für die aufwendigen Studien.

In dieser Situation war es ein bahnbrechendes Signal von dem Ehepaar Carstens, mit Hilfe einer Stiftung die wissenschaftliche Überprüfung naturheilkundlicher Verfahren zu fördern und damit auch ein Bekenntnis abzugeben – zu dem, was 1976 als "Besondere Therapierichtungen" im 2. Arzneimittel-Gesetz und dann 1997 im Sozialgesetzbuch V auch in der vertragsärztlichen Versorgung verankert worden war: Anthroposophische Medizin, Homöopathie und natürlich die Phytopharmazie.


Das Ärzteblatt empörte sich: Solche "selbsternannten" Therapierichtungen könnten nun ihre Methoden zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn selbst festlegen. Noch immer ist das Arzneimittelgesetz diesem Wissenschaftspluralismus verpflichtet, doch die Angriffe lassen nicht nach. Selbsternannte "Skeptiker" wie die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) verbreiten Mythen über die Unzuverlässigkeit "alternativer" Heilverfahren, Bezeichnungen wie "Pseudowissenschaft" machen die Runde und die meisten der großen Mainstream-Medien schließen sich der Treibjagd an. Warum eigentlich? 70 Prozent der Deutschen sind nach einer Forsa-Umfrage von 2021 "offen" für die Homöopathie, mehr als jeder Zweite hat sie schon angewendet. Das Miteinander unterschiedlicher Heilverfahren, die Integrative Medizin, befürworten 75 Prozent der Deutschen (Kantar TNS, 2018).

Doch ohne Stiftungen wie der Karl und Veronica Carstens-Stiftung würden der Naturheilkunde viele wissenschaftliche Grundlagen fehlen.


Ihre Studien sind häufig anspruchsvoller und aufwendiger als die der konventionellen Therapien. Medikamentengestützte Therapien nämlich werden meistens mit einem randomisierten Doppelblindversuch überprüft – einem experimentellen Verfahren an meist männlichen Probanden und weit entfernt von den Herausforderungen der individuellen Medizin und ihres Settings im Alltag. Doch alles, was noch zur Heilung beiträgt – wie Erwartung, Vertrauen und Aufklärung, wichtig in der Naturheilkunde – wird meist ignoriert. Und was viele nicht wissen: Gerade die am häufigsten verwendeten schulmedizinischen Verfahren verfügen selten über eine bestmögliche Evidenz, bei der Studienergebnisse und Expertenmeinungen übereinstimmen. In der Kardiologie und der Onkologie sind es gerade mal um die zehn Prozent.
 

Das Ehepaar Carstens mit Marianne von Weizsäcker
Das Ehepaar Carstens mit Marianne von Weizsäcker

Naturheilkundliche Verfahren jedoch ziehen immer häufiger in die Empfehlungen medizinischer Fachgesellschaften ein. Zwischen den unterschiedlichen "Besonderen Therapierichtungen" gibt es trotz aller Vielfalt längst eine Übereinkunft darüber, wie man Kompetenz entwickelt und nachweist. Doch im Mainstream der Medizinlandschaft müssen sie immer noch um Anerkennung ringen. In den letzten Jahren, auch aufgrund der Fördertätigkeit der Stiftungen, konnten eine Reihe von Stiftungslehrstühlen und Stiftungsprofessuren für Naturheilkunde in Deutschland etabliert werden. Seit 2022 gibt es nun die erste reguläre Professur zur "Erforschung komplementärmedizinischer Verfahren" an der Universität Tübingen. Doch alle anderen – in Berlin, Duisburg-Essen, Hamburg, Jena, Hannover, Ulm, Rostock oder Witten-Herdecke – sind Stiftungsprofessuren, die meisten davon zeitlich begrenzt und an ihre derzeitigen Inhaber gebunden. Das heißt: Die Naturheilkunde ist trotz aller Anstrengungen immer noch nicht nachhaltig in der akademischen Landschaft verankert!

Persönlichkeiten wie Veronica Carstens, die keine Scheu haben, für Naturheilkunde und Integrative Medizin einzutreten, sind heute nötiger denn je, so brauchen wir vor allem Menschen wie Sie, die Mitglieder von Natur und Medizin e.V. – denn ohne finanzielle Unterstützung und auch politischen Druck wird es nicht gelingen, den traditionellen Therapien den Stellenwert zu geben, den sie verdient haben – als schonende, ganzheitliche und partizipative Heilverfahren.


Sie können dieses Anliegen unterstützen und als Fördermitglied bei Natur und Medizin sowie als Unterstützer bei "weil´s hilft!" mit uns gemeinsam für die Integrative Medizin eintreten. Denn schon überlegen Politiker wie Karl Lauterbach, den Medizinpluralismus abzuschaffen. Deshalb haben wir die Patientenbewegung "weil´s hilft!" gegründet, um gemeinsam mit anderen großen Bürgerinitiativen für Naturheilkunde gegenüber der Politik eine starke Stimme zu haben und Gehör zu finden. Damit es auch in Zukunft Ärzte und Ärztinnen geben wird, die zwei Sprachen sprechen, die der Hochleistungsmedizin und die der Naturheilkunde, brauchen wir weiterhin Ihr Engagement – auch um den altersbedingten Mitgliederschwund wettzumachen. Nach wie vor sind wir dankbar für Ihre Spenden und auch Erbschaften, die es uns ermöglichen, auch aufwendige Forschungsansätze zu unterstützen. Außerdem müssen wir neue Wege gehen, um die junge Generation mit Social Media und anderen Medien zu gewinnen, denn in Zeiten von Long Covid und Klimakrise sind es vor allem sie und die folgenden Generationen, die den Herausforderungen mit Resilienz und Selbstfürsorge begegnen müssen.

Wir müssen das Engagement für die Naturheilkunde nachhaltig gestalten. Das ist sicher das schönste Geburtstagsgeschenk, das wir Dr. Veronica Carstens zu ihrem Hundertsten machen können.

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Dr. Andrea Flemmer

Andrea Flemmer ist promovierte Diplom-Biologin und Ernährungswissenschaftlerin. Nach der Promotion begann sie als kommunale Umweltschutzbeauftragte und hielt Vorlesungen rund um die Thematik „Einführung in Natur- und Umweltschutz“ an der Fachhochschule München. Im Februar 2023 erschien ihr 43. Buch: „Autoimmunerkrankungen – Das kann ich selbst tun“.

Dr. Anna Paul
Dr. rer. medic. Anna Paul

Leitung Ordnungstherapie, Mind-Body-Medizin, Arbeitsgruppe Prävention & Gesundheitsförderung, Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Evang. Kliniken Essen-Mitte. Dr. Anna Paul ist Vorstandsvorsitzende von Natur und Medizin e.V.