Seine Ruhe findet wieder, wessen Geist und Seele sich erholt haben. Einen neuen Zugang zu sich zu gewinnen, oder eben sich selber immer wieder „einzusammeln“ und zur inneren Ruhe zu kommen, ist auch das Interesse von Menschen, für die das Meditieren eine Rolle spielt. Die Meditation ist ein Weg von vielen zur Erholung. „Meditieren“ heißt, etwas für die Erholung des Geistes und der Seele zu tun, weil die Meditation die Möglichkeit eröffnet, sich wieder in eine Beziehung zu sich selbst zu setzen. Eben dies hat – wieder einmal – Nietzsche „griffig“ erfasst: Denn in seinem „Zarathustra“ heißt es: „Alles gackert, aber wer will noch still auf dem Neste sitzen und Eier brüten?“
Gehen wir bei dem Philosophen in die Schule, der zweifellos zu den ganz großen Denkern unserer abendländischen Denk-Tradition zählt. Ich spreche von dem „Vater“ der modernen Philosophie, von René Descartes. Es ist René Descartes gewesen, der uns im 17. Jahrhundert, in der „Morgendämmerung“ der Neuzeit und Moderne, zur Meditation einlädt. Seine Einladung steht in seinem Hauptwerk, das den Titel „Meditationen“ trägt. Diese seine „Meditationen“ sind für mich die weiterführendste Antwort, wenn es um die Frage geht, was für die Philosophie „meditieren“ bedeutet. Mit anderen Worten: Ich lese Descartes als Buch zur Burnout-Prophylaxe, weil für mich das Meditieren der „Königsweg“ für die Erholung von Geist und Seele ist!
Wie aber sieht dieser „Königsweg“ aus? Für den „großen“ Descartes ist das Meditieren eine Sache des Denkens. In unseren Tagen aber haben sich das Denken und das Meditieren längst voneinander „entkoppelt“. Ich bin mir sicher, dass die allerwenigsten von Ihnen nicht das Denken mit der Meditation in Verbindung bringen. Doch das Meditieren ist sehr wohl eine Sache des Denkens, genauer: Das Meditieren ist eine Sache des dialogischen Denkens. In seinen „Meditationen“ tritt Descartes in einen Dialog mit sich selbst. So heißt es in Descartes „Dritter Meditation“: „Ich werde, indem ich allein mit mir spreche und tief in mich hineinblicke, versuchen, mich mir selbst nach und nach vertrauter zu machen.“ Aber – was ganz wichtig zu verstehen ist: Das Ich, das hier bei Descartes in eine Beziehung zu sich selber tritt, ist unser aller Ich! Mit anderen Worten: Das Ich der cartesianischen Meditationen ist nicht das individuelle Ich des René Descartes, sondern es ist das Ich, das René Descartes mit allen anderen Menschen gemeinsam hat und das mit seinem Denken auf sich selbst Bezug nehmen kann. Das Burnout-Syndrom ist für mich zu einem Massenphänomen geworden, weil wir vergessen haben, wie wir uns noch in eine Beziehung zu uns selber setzen können.
Damit sind wir nun einen entscheidenden Schritt weiter in der Beantwortung der Frage, welches Denken für Descartes das „Seelen-Werkzeug“ der Meditation ist. Es ist eben das Denken, mit dem unser Ich auf sich selbst Bezug nimmt! Es ist das Denken, mit dem wir in eine Beziehung zu uns selber treten. Aber hier lauert gewissermaßen schon wieder die nächste Falle: Denn die Frage ist natürlich, mit welchem Denken treten wir in eine Beziehung zu uns selber? Ist das einfach das Denken, mit dem wir „über uns selbst nachdenken“? Ich bestreite dies.
Für René Descartes ist das Denken ein „SeelenWerkzeug“ der Meditation, das das Ich in eine Beziehung zu sich selber setzen kann, weil Herz und Wille beteiligt sind. Nur für dieses Denken gilt nun der ebenso berühmte wie auch gleichermaßen oft missverstandene Satz des René Descartes, der in seinem Werk „Die Prinzipien der Philosophie“ zu fi nden ist: „Cogito ergo sum.“ „Ich denke, also bin ich.“ Vor ein paar Jahren erhielt ich von einem Freund eine Postkarte zu Weihnachten. Darauf stand zu lesen: „Ich denke – also bin ich hier falsch.“ Mit dieser köstlichen Verballhornung des cartesianischen „ich denke“ will ich Ihnen sagen, dass keinesfalls immer richtig verstanden wurde, was Descartes unter „Denken“ versteht und darum vielleicht nur wenige verstanden haben, wovon bei ihm die Rede ist, wenn er vom „Denken“ spricht. Martin Heidegger kommt in seinen „Nietzsche – Vorlesungen“ auf René Descartes zu sprechen, und er hebt hier besonders hervor, dass das Denken für Descartes dem lateinischen „percipere“ entspricht. Für diesen Begriff findet man drei Bedeutungen: erfassen, begreifen, wahrnehmen. Mit anderen Worten: Für René Descartes ist das Denken ein Wahrnehmungsorgan. Das Ich kann bei Descartes mit seinem Denken etwas wahrnehmen, erfassen und begreifen, weil bei der Erkenntnis der Denkinhalte nicht nur der Verstand, sondern Herz und Wille mitbeteiligt sind.
Die Meditation ist für René Descartes eine Sache des dialogischen Denkens – und es ist eine Sache des inspirierenden Denkens, das das Ich auf sich selbst beziehen kann. Unser Problem ist heute, dass wir oft nur noch ein Wissen haben, das uns informiert, nicht aber mehr den Weg zu der Quelle kennen, die uns inspiriert. Es ist aber eben diese Quelle, die uns wach und lebendig macht! Und so erkennt man das inspirierende Denken, das eben auch eine Möglichkeit ist, Geist und Seele Erholung zu verschaff en, daran, dass wir durch dieses Denken wacher und lebendiger werden als wir zuvor waren. Dieses Denken ist eben gerade nicht ein Grübeln über Gott und die Welt, sondern eröff net neue Perspektiven.
„Wasser“ für die Seele ist für Descartes das inspirierte Denken als Quelle unserer Lebensfreude, und anfällig für ein Burnout ist im Anschluss an Descartes, wer nur noch gut informiert, nicht aber mehr inspiriert durch’s Leben geht. Das eigentliche Problem ist für mich deshalb die Verödung und Versteppung oder die Verwüstung des Seelenlebens. Ich bezweifle, ehrlich gesagt, dass die „seelische Dehydration“ nur ein Thema der Psychotherapie und Bewegungstherapie in einer Burnout-Klinik ist. Für die Vorbeugung und die Heilung eines Burnout ist für mich mindestens ebenso die meditative Praxis wichtig, deren Form und Gestalt bei jedem Menschen unterschiedlich ist. Es gibt viele „Meditationstechniken“, die Menschen eine neue Beziehung zu sich selber möglich machen. Entscheidend ist allein, dass Geist und Seele sich erholen.
Die Kunst der Erholung beherrscht, wer immer wieder die Quelle „anzapfen“ kann, die Geist und Seele „zu trinken“ gibt. Diese Kunst der Erholung ist eine Sache der bewussten Lebensführung oder eben unserer Lebenskunst.
[Der Artikel »René Descartes – oder wie wir dem Burnout vorbeugen können« ist Teil eines Vortrages, den Dr. Thomas Polednitschek 2012 auf einem Gesundheitstag in Hof für Natur und Medizin e.V. gehalten hat.]