Wann muss mein Kind zur Logopädie?
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Kinderheilkunde
Im ersten Artikel unserer neuen Serie „Kindersprechstunde“ beschäftigen wir uns mit der Sprachentwicklung. Diese ist, wie fast alle Meilensteine der kindlichen Entwicklung, von Kind zu Kind unterschiedlich. Dabei spielt die Genetik eine Rolle, ebenso das soziale Umfeld, das Beziehungsverhalten und die Interaktion mit Eltern und Geschwistern.
Wie bei allen Entwicklungsschritten werden daher auch zur Sprachentwicklung häufig Fragen gestellt: Was ist „normal“? Was kann ich tun, wenn mein Kind (noch) nicht spricht? Mein Kind stottert – ist das schlimm? Mein Kind macht Fehler bei der Aussprache: Es kann nur „Smetterling“ oder „Slange“ sagen; müssen wir jetzt zur Logopädie gehen?
Allgemeine Sprachentwicklung
Im ersten Lebensjahr gibt es noch keine Sprache im engeren Sinne: Das Baby schreit, lallt, quiekt, lautiert, spricht aber noch keine erkennbaren Wörter. Dennoch kommunizieren Säuglinge über verschiedenste „Kanäle“ und können bereits mit einem halben Jahr ihre Eltern gezielt zu bestimmten Reaktionen anregen. Im zweiten Lebensjahr beginnt die eigentliche Sprachentwicklung: Das Kind äußert erste Wörter, die präzise Bedeutungen erhalten, z. B. „Mama“, Papa“, „Wauwau“. Anfangs sind es so genannte Einwortsätze, mit dem ersten Fragealter (2. Hälfte des 2. Lebensjahrs) entstehen Zweiwortsätze. Mit zwei Jahren können die meisten Kinder schon kurze (grammatikalisch noch nicht korrekte) Aussagen treffen. Im dritten Lebensjahr formen sich Mehrwortsätze, die Grammatik wird mehr und mehr berücksichtigt. Im vierten Lebensjahr – man spricht auch vom „zweiten Fragealter“ – werden der aktive Wortschatz und die Grammatik ausgebaut.
Unterstützung und Förderung einer gesunden Sprachentwicklung
Von Geburt an sprechen die Eltern mit dem Baby, kommunizieren aber stets auch über nonverbales Verhalten, Blickkontakt, Gesten, Emotionen, Stimmungen. Der Säugling ist anfangs vor allem am Ausdruck der Stimme interessiert, nicht an der konkreten Bedeutung der Wörter. Dennoch ist es gut, von Anfang an mit dem Baby in normaler Sprache zu sprechen; viele Eltern sprechen dabei intuitiv langsamer, ausdrucksstärker und mit häufigen Wiederholungen. Insofern ist eine „Babysprache“ auch sinnvoll; es wäre aber keineswegs schädlich, dem Baby auch mal ein Gedicht von Goethe vorzulesen. Am besten ist eine natürliche, emotional stimmige Ausdrucksweise.
Spätestens zum Ende des ersten Lebensjahres kommen auch die ersten Bilderbücher ins Kinderzimmer (z. B. Tiere auf dem Bauernhof). Im Grunde ist die Botschaft an alle Eltern sehr einfach: Häufig Bücher anschauen, zeigen, fragen und vor allem: Reichlich vorlesen! Seit vielen Jahren gibt es eine hilfreiche Initiative, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird (www.lesestart.de): Kinderarztpraxen, die in diesem Programm eingeschrieben sind, können den Eltern zu den Vorsorgeuntersuchungen U6 und U7 von der Initiative gesponsorte Bücher mitsamt einer mehrsprachigen Broschüre an die Familien aushändigen.
Wichtig für die gesunde Sprachentwicklung ist grundsätzlich eine Anregung auf kommunikativ-emotionaler Ebene und ein soziales Umfeld, das regelhaft und ausreichend Zeit für die Interaktion ermöglichen kann.
Mehrsprachigkeit
Etwa jedes fünfte Kind in Deutschland wächst mehrsprachig auf, d. h. mindestens ein Elternteil spricht neben Deutsch eine weitere Sprache. Nur in fünf Prozent der Familien wird zuhause kein Deutsch gesprochen (Statistisches Bundesamt): Besonders für diese Kinder ist die frühkindliche Sprachförderung in Kitas oder Frühförderungszentren wichtig. Mehrsprachigkeit sollte man vor allem als Chance betrachten: Eltern, die von Anfang an in ihrer eigenen Muttersprache mit dem Kind sprechen, fördern schon sehr früh den Spracherwerb auf eine intuitive, spielerische Art. Es gibt viele Kinder, die sogar drei Sprachen nebeneinander lernen und problemlos integrieren können. Es gibt Untersuchungen, dass dies sogar die Gedächtnisleistungen steigern kann.
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Im Rahmen der üblichen Vorsorgeuntersuchungen U1-U9 wird die gesamte Entwicklung einschließlich des Spracherwerbs in der Kinderarztpraxis beurteilt. Dabei werden Defizite angesprochen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Häufig kommen die Eltern bereits mit konkreten Fragen. Beispiele: Ein Kind spricht zum Ende des 2. Lebensjahres erst wenige Wörter – ist das noch normal, handelt es sich um einen „late talker“? Ein Kind fängt an zu stottern: ist das ein „normales“ Phänomen im Rahmen der Entwicklung, oder muss hier therapeutisch eingegriffen werden? Ein anderes Kind spricht „seltsam“, für Außenstehende unverständlich: Liegen eine Sprachentwicklungsstörung, ein Dysgrammatismus oder sonstige Entwicklungsstörungen vor?
In vielen Fällen kommen Hinweise auf eine Sprachentwicklungsstörung oder -verzögerung auch aus den Kitas und den Kindergärten, die mittlerweile alle Aspekte der Entwicklung gut dokumentieren und den Eltern regelmäßig Rückmeldungen dazu geben.
Meist sind Fragen zur Sprachentwicklung leicht bei der Vorsorgeuntersuchung zu klären, und in der Regel ist eine abwartende Haltung sinnvoll. Es gibt aber auch regelmäßig Kinder, die schwieriger einzuschätzen sind: Dann wird zur weiteren Diagnostik überwiesen, z. B. in eine Logopädiepraxis oder ein sozialpädiatrisches Zentrum. Bei Hinweisen auf Schwerhörigkeit muss das Hörvermögen untersucht und gegebenenfalls eine pädaudiologisch ausgestattete HNO-Praxis aufgesucht werden.
Wann ist Logopädie sinnvoll?
Bei frühen Sprachentwicklungsstörungen kann eine logopädische Beratung bzw. Behandlung schon im Alter von zwei Jahren notwendig sein. Der häufigste Anlass, in einer Kinderarztpraxis wegen Sprachauffälligkeiten vorstellig zu werden, sind aber Artikulationsschwierigkeiten bzw. Aussprachestörungen: Diese betreffen sehr häufig die so genannten Reibelaute (z. B. Sch, S, Ch, F, W), aber auch Verschlusslaute (z. B. B, P, T, K) oder Nasenlaute (M, N). Viele dieser Laute können gut zuhause geübt werden, in hartnäckigen Fällen kann mittels Logopädie trainiert werden. Dabei ist zu beachten, dass – je nach Lautfehlbildung – zu passenden Zeitpunkten begonnen werden sollte, auch nicht zu früh: Beispielsweise kann beim „Smetterling“ durchaus bis zum 5. Geburtstag abgewartet werden. Aber hier gilt: Jedes Kind ist anders und muss daher stets individuell untersucht, beurteilt und auf eine Therapienotwendigkeit eingeschätzt werden.