Erde – aus der Mitte die Kraft
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Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)
Irgendetwas hat sich verändert. Seit ein paar Tagen ist das Licht anders, die Luft riecht anders. Es ist nicht mehr Herbst. Und doch ist es noch nicht ganz Winter. Eine gewisse Ruhe hat sich ausgebreitet… Kennen Sie dieses Gefühl, diese feine Wahrnehmung, die einen gelegentlich überkommt, nicht nur in der Übergangszeit von Herbst zu Winter? In diesem Beitrag möchte ich Ihnen das 5. Element der Traditionellen Chinesischen Medizin vorstellen: Das Element „Erde“, welchem die sogenannten Übergangszeiten zugeordnet sind.
Der aufmerksamen Leserschaft der letzten vier Yang Sheng-Beiträge ist eventuell aufgefallen, dass in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) stets von den 5 Elementen oder Fünf Wandlungsphasen die Rede ist. Doch mit Winter/Wasser, Frühling/Holz, Sommer/Feuer und Herbst/Metall wurden bereits alle uns bekannten Jahreszeiten behandelt. Was hat es nun mit dem 5. Element auf sich? Das, was oben nur als feine Wahrnehmung beschrieben wird, hat im chinesischen Kalender seinen festen Platz und zwar 18 Tage lang, viermal im Jahr. Es sind die sogenannten Dojo-Zeiten, die dem Element „Erde“ und der energetischen Mitte (und damit auch unserem Unterbauch) zugeordnet sind. Diese vier Erde-Zeiten dürfen ganz bewusst gewürdigt werden, denn sie dienen dazu, die vorhergegangene Jahreszeit abzuschließen und sich auf die kommende vorzubereiten.
Werden und vergehen
In einer späteren Betrachtungsweise der traditionellen chinesischen Zeitrechnung und Medizin wird dem Element „Erde“ gar eine eigene Jahreszeit zugewiesen: der Spätsommer. Vielleicht, weil zwischen Hochsommer und Herbstbeginn die Qualität des Übergangs besonders stark wahrnehmbar ist.
Der Hochsommer, die Zeit der großen Umtriebigkeit, der rastlosen Tätigkeit, des Reisens ist vorbei. Die Samen, die noch nicht gesetzt sind, müssen aufs nächste Jahr warten, die Früchte unseres Schaffens sind gereift. Und doch sind wir noch nicht an dem Punkt, an dem es gilt, Abschied vom Jahr zu nehmen, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Die Erde steht für Werden und Vergehen gleichermaßen. Aus ihr sprießt das Leben, zu ihr kehrt es zurück.
Jetzt heißt es erst, die Ernte einzuholen, das Erreichte zu würdigen und zu genießen. Es ist die Zeit für Dankbarkeit und Demut. Und wir dürfen innehalten, kurz zur Ruhe kommen… Uns an die schönen Momente des Sommers erinnern und diese Erinnerungen gut verwahren.
Diese Einladung trifft auf unser Sein und Wirken im Jahreslauf genauso zu, wie auf den Abschnitt im Lebenskreis, in dem wir selbst bereits eine gewisse Reife erreicht haben und nun unseren Kindern beim Wachsen und Gedeihen zusehen dürfen. Es sind die Jahre, in denen unsere berufliche Karriere bereits gesetzt ist und wir uns für den Status, den wir erreicht haben, kein Bein mehr ausreißen müssen. Wir sind mit unserer Abgeklärtheit und Erfahrenheit möglicherweise diejenigen, die für unsere Lieben alle Termine im Blick haben müssen, sie bei Lernkrisen und Motivationstiefs unterstützen dürfen. Wofür wir geschätzt werden, ist unser offenes Ohr und die viele Geduld für die Launen und Herausforderungen unserer Mitmenschen.
Fürsorge und Verantwortung
Ja, die Wandlungsphase „Erde“ hat auch mit Elternschaft zu tun, nicht nur im Sinne von Gebären, sondern auch in Bezug auf das Versorgen und Nähren unserer Kinder. Wir tragen Verantwortung für sie, haben Fürsorgepflicht. Und doch können wir ihnen nicht alles abnehmen. Es hat keinen Sinn, die Hausaufgaben für sie zu erledigen, den Streit mit dem Klassenkameraden zu schlichten. Wir können nicht die nächste Schularbeit, das anstehende Referat für sie schreiben.
Unsere Aufgabe ist es, den Menschen in unserer Obhut den Rahmen für ein behütetes und doch freies Entfalten zu bieten und ihnen Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten zu schenken. Dieser Mutterinstinkt muss sich gar nicht nur auf Kinder beschränken. Unsere Fürsorge erstreckt sich möglicherweise gleichsam auf unsere Partner, die eigenen Eltern oder auch Menschen, für die wir beruflich verantwortlich sind, sei es in der Rolle als Vorgesetzte, Lehrende, Erziehende oder im Pflegedienst.
Ruhe und Vertrauen
Doch wie finden wir die richtige Balance zwischen sich Kümmern auf der einen Seite und Loslassen auf der anderen? Hier ist die Kraft unserer Mitte gefragt. Ruhen wir in uns selbst und gelingt es uns, aus unserer eigenen Mitte zu schöpfen, dann können wir allen Elementen, die um uns kreisen, einen sicheren und stabilen Anker bieten. Dann können wir Fixstern für die Menschen sein, die auf uns vertrauen, ohne selbst aus der Bahn geworfen zu werden.
Grundkonzepte der chinesischen Medizin
Das Gedankenkonstrukt der chinesischen Medizin wird neu und ungewöhnlich differenziert dargestellt
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ISBN: 978-3-933351-70-8
Erscheinungsjahr: 2007
16,30 EUR
Zum Shop »Wie zeigt sich ein geschwächtes Erde-Element?
Ist unsere eigene Mitte geschwächt, reiben wir uns an unseren Aufgaben auf. Wir verlieren Energie, „eiern herum“ und verausgaben uns. Auf psychischer Ebene kann sich dies als Gedankenkreisen äußern. Wir stecken in unserem Denken fest, kommen nicht heraus aus der Gedankenspirale und finden keine zielführenden Lösungen. Auf körperlicher Ebene ist meist das erste Zeichen ein Druck oder eine Anspannung in der Magengegend. Unwohlsein, Appetitlosigkeit, Verdauungsprobleme, aber auch Wassereinlagerungen können Folge einer geschwächten Mitte sein. „Das Trübe kann nicht mehr vom Klaren getrennt werden“, so drückt es die TCM aus.
Die "Schule der Mitte"
Die eigene Mitte ist ein derart zentrales Thema, dass es besondere Aufmerksamkeit verdient. In der Geschichte der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) gab es um 1000 n. Chr. als bedeutende Strömung in der Lehre und Ausübung sogar die „Schule der Mitte“. Ihr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass nur ein integrativer Ansatz zur Pflege und Stärkung der eigenen Mitte den Menschen gesund machen und erhalten kann.
Integrativ heißt im heutigen Sinne, genau wie damals schon, dass nicht ein Arzt oder Therapeut eine schon entstandene Krankheit rein medikamentös behandelt. Vielmehr wird das eigene Wohlergehen zur Chefsache gemacht. Dabei kommen alle Methoden zum Tragen, die der Lebenspflege und der Vorbeugung vor Krankheiten dienen – von manuellen Anwendungen wie Akupunktur und Massagen über Meditation, Bewegung und Bewusstseinsarbeit bis hin zur Ernährungsoptimierung und Harmonisierung des häuslichen Umfelds. Der wesentliche Impuls und die Verantwortung zur täglichen Umsetzung obliegen jedoch stets einem selbst. Dies alles sollte im besten Fall bereits zur Routine geworden sein, wenn oder schon bevor sich die ersten Zeichen einer unausgewogenen Mitte zeigen und das Leben um einen herum Kapriolen schlägt. Der beste Zeitpunkt, mit Yang Sheng – der Kunst der Selbstfürsorge – zu beginnen, ist jetzt!