Naturheilkunde
Zum Hauptinhalt springen Zum Seiten-Footer springen
Der Herbst – Zeit für das Wesentliche

Der Herbst – Zeit für das Wesentliche

Von

Veröffentlicht am
Achtsamkeit Mentale Gesundheit

Rilkes Worte bringen die aktuelle Zeitqualität genau auf den Punkt: Der Herbst beglückt uns mit einem unglaublichen Leuchten der Natur und einem ganz besonderen Duft von Fülle in der Luft. Doch die goldenen Tage werden seltener und seltener. Im Wind hängt ein Hauch von Verwesung, der uns daran erinnert, dass nun mehr und mehr die Fähigkeit des Loslassens und Abschiednehmens gefragt ist.

NATUR UND MEDIZIN sagt: Aufpassen!

Herbsttag

Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

(Rainer Maria Rilke, 21.9.1902, Paris )

In der fernöstlichen Philosophie der fünf Elemente wird der Herbst durch das Element Metall verkörpert. Metall steht für das Trennende, wie die Schneide eines Messers. Während im Sommer noch das soziale Miteinander im Vordergrund stand, hilft uns im Herbst die Kraft des Metalls, das Innehalten und Loslassen auch als einen Schritt der Befreiung zu sehen. Jede Medaille hat jedoch zwei Seiten, und so soll uns der Herbst nicht nur den „negativen“ Aspekt des Abschieds nahebringen. In dieser Wandlungsphase liegt auch die Möglichkeit, den gegenwärtigen Moment zu genießen und mit „scharfem Auge“ zu erkennen, auf wen und was man sich verlassen kann. Die Erfahrung dessen, was wesentlich ist, kann in diesem Jahres- oder Lebensabschnitt zum Maßstab unseres Denkens und Handelns werden.

Wandlungsphase „Metall“

  • Organe: Lunge, Dickdarm
  • Körperbereiche: Haut, Schleimhäute, Gelenkhäute
  • Sinnesorgan: Nase, Geruchssinn
  • Tätigkeit: Liegen
  • Emotionen: Trauern, Loslassen
  • Geschmack: scharf, pikant
  • Klimatischer Aspekt: Trockenheit
  • Geistige Aspekte: Selbstwertgefühl, Mitgefühl

Wind als Atem der Natur

Auch wenn Sie vielleicht nicht mehr in dem Alter sind, um Drachen steigen zu lassen: Können Sie sich einen Herbst ohne Wind vorstellen? Auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) spielt in dieser Jahreszeit der Wind eine wichtige Rolle. Er weht das Alte fort und ist der Atem der Natur. Doch gilt es, sich gut zu wappnen und jetzt Nacken und oberen Rücken besonders zu schützen. Denn sind die Poren noch von der Sommerhitze weit geöffnet und neigen wir zu Infekten der oberen Atemwege, so kann uns der Herbst durch die klimatischen Störenergien des Windes und der Kälte ganz böse von hinten erwischen. Sicher kennen Sie das Gefühl einer Erkältung im Frühstadium, die mit Nacken-, Hinterkopf- oder Rückenschmerzen beginnt? Es ist in der TCM die Aufgabe der Lunge, unseren Organismus gegenüber der Außenwelt abzugrenzen und zu schützen, und zwar mithilfe unserer äußersten Schicht, Haut und Haaren. Spätestens jetzt heißt es, sich „ein dickes Fell“ zuzulegen und die Lungenenergie zu stärken. Denn nichts ist lästiger, als sich direkt nach dem ersten Herbststurm mit einer Erkältung herumschlagen zu müssen. Immunstärkung nach chinesischer Medizin geschieht in erster Linie über eine günstige Ernährungsweise.

Wie zeigt sich ein geschwächtes Metall-Element?

Auf körperlicher Ebene:

  • Hautprobleme, Allergien
  • Gelenkschmerzen,
  • Schwacher Geruchssinn
  • Husten aller Art, Verschleimung, Erkältung, Nasenfließen
  • Schwitzen – auch tagsüber, spontan, am ganzen Körper
  • Vorhandene Beschwerden verschlechtern sich im Liegen

Auf emotionaler, geistiger und seelischer Ebene:

  • Depression mit Traurigkeit
  • Sich ungerecht behandelt fühlen
  • Rechthaberische Züge
  • Kommunikationsunlust; schwache/leise/raue/harte Stimme
  • Schwaches Selbstwertgefühl
  • Besessenheit

Der herbstliche Erntekorb

Die Reifezeit ist abgeschlossen, und die Ernte wird eingebracht, im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinn. So fällt es uns nun besonders leicht zu erkennen, was die Natur als angemessene Ernährungsweise bereithält: Äpfel, Birnen, Brokkoli, Chicorée, Chinakohl, Feldsalat, Fenchel, Hafer, Karotten, Kartoffeln, Kürbis, Lauch, Pilze und vieles mehr stehen nun auf dem Speiseplan. Nicht zu vergessen die kostbaren Weintrauben, die reich an Vitaminen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren und Radikalfängern sind. Vor allem der Genuss von Traubenkernöl kann frühzeitiges Altern vorbeugen, die Durchblutung fördern, Cholesterinwerte senken und die Verdauung anregen. Auch stehen uns zahlreiche heimische und chinesische Kräuter zur Verfügung, die unsere Abwehrkräfte stärken. In der Chinesischen Medizin wird allerdings nie nur eine Pflanze eingenommen. Ein Kräutertee besteht stets aus einer Mischung sich ergänzender Pflanzen, die im besten Fall mit TCM-Expertise individuell auf die jeweilige Konstitution abgestimmt wurden.

Eine einfache, allgemeine Rezeptur für einen immunstarken Herbst kann wie folgt aussehen:

Tipp: Wichtige Stress-Vitamine

Mischen Sie je 100–200 g getrockneten Hopfen, Melisse und Johanniskraut in gleichen Anteilen und gießen Sie davon zwei gehäufte Esslöffel mit einem Liter nicht mehr kochendem Wasser auf. Lassen Sie den Kräutertee 10 bis 15 Minuten ziehen, füllen Sie ihn in eine Thermoskanne und genießen Sie ihn warm über den Tag verteilt.

Diese erkältungsvorbeugende Maßnahme kann durch Akupressur, Akupunktur, wärmende Massagen oder Moxibustion ergänzt werden. Moxibustion, oder kurz Moxa genannt, bezeichnet das Abbrennen von Beifußkraut über bestimmten Akupunkturpunkten zur Behandlung von Kälteerkrankungen und zum Lösen von Stagnationen. Was Sie jetzt dringend vermeiden sollten, sind „ein kalter Leib“ (wie die klassische TCMLiteratur es nennt) und kalte Getränke, denn „…dann fließt das Qi nicht und die Lunge wird verletzt.“ Im Zusammenhang mit dem Element Metall, der Energie der Lunge und dem Herbst als Jahreszeit ist ein weiterer Aspekt wichtig, nämlich der des Rhythmisierens:

Die Birne ist ein herbstlicher Immunbooster.
Die Birne ist ein herbstlicher Immunbooster.

Die Lunge als Taktgeber

Einatmen, Ausatmen und – nicht zu vergessen – eine Atempause folgen dem Rhythmus der Lunge, die sich an die jeweilige körperliche Anforderung anpasst. Die flache Brustatmung, die viele Menschen jedoch haben, nutzt einen großen Teil des energetischen Potenzials der Lunge nicht. Mit gezielten Übungen, die eine tiefe Atmung fördern, wird das eingeatmete Qi unmittelbar in den Unterbauch geführt. Das „Untere Dantian“ ist ein Energiefeld, welches knapp unterhalb des Nabels liegt und wiederum mit der Wurzel unserer Energie in Verbindung steht: den Nieren, dem Organpaar, mit dem wir uns im allerersten Beitrag dieser Artikelserie befasst hatten. Abgesehen von der bloßen Aufnahme von Sauerstoff und Abgabe von Kohlendioxid bringt uns der Atem in Verbindung mit uns selbst und ist spürbarer Ausdruck unserer lebendigen Existenz.

Mithilfe der folgenden Atemübungen können Sie sich Schritt für Schritt an den eigenen Atemrhythmus herantasten.

  1. Atem beobachten: Spüren Sie die Luft in den Nasenflügeln, lauschen Sie dem Geräusch und genießen Sie einfach diese rein sinnliche Wahrnehmung.
  2. Einatmen als Kraftakt: Atmen Sie bewusst und kraftvoll erst in die oberen Lungenspitzen, dann in den Brustkorb, dann in den Bauch. Spüren Sie die Unterschiede.
  3. Ausatmen als Akt des Loslassens: Atmen Sie bewusst und kraftvoll alles aus, was Sie nicht mehr brauchen: Verbrauchte Luft, Gefühle, Gedanken und Erinnerungen, die gehen dürfen. Lassen Sie dann frische Luft ganz natürlich in sich einströmen.
  4. Atempause als Phase der Stille: Halten Sie nach dem Einatmen (oder auch nach dem Ausatmen) für wenige Sekunden inne. Dies ist die eigentliche Kraftquelle des Atmens, in der Sie sich als Teil des universalen Ganzen erfahren lernen.

Wiederholen Sie jede der Übungen drei- bis fünfmal. Führen Sie die Atemmeditationen anfangs nur für kurze Zeit aus, 5 bis 10 Minuten reichen. Kehren Sie zu Ihrem normalen (unbewussten) Atemrhythmus zurück, wenn Sie Unwohlsein, Schwindel oder Ähnliches feststellen. Suchen Sie bei anhaltenden Beschwerden ärztlichen Rat.
So, wie die vier Jahreszeiten ineinander übergehen, befindet sich unser Leben im ständigen rhythmischen Wandel. Das, was sich im Großen, im Außen, abspielt, hat immer auch Einfluss auf uns und unseren Energiehaushalt, selbst auf jede einzelne unserer Körperzellen.

Mit dem Herbst und dem entsprechenden Element „Metall“ schließt sich der Kreis der Beitragsserie „Gesund durchs Jahr mit Yang Sheng“.

Wir erinnern uns noch einmal, was uns die chinesische Lehre der Selbstfürsorge nahebringen möchte: Die Kunst der gesunden, harmonischen Lebensführung ist es, achtsam gegenüber der Natur, den Mitmenschen und sich selbst die aktuelle Zeitqualität genau zu erfassen und darauf mit passender Intensität und geeigneten Mitteln zu reagieren. Denn die Antworten auf die gesundheitlichen Herausforderungen unserer Zeit finden sich immer weniger in einer reduktiven, das heißt alles in seine Einzelteile zerlegenden Medizin. Vielmehr ist ein Ansatz gefragt, der den Menschen als Ganzes betrachtet und als integralen Teil der Natur anerkennt.

Hinweis: Der Artikel "Der Herbst – Zeit für das Wesentliche" von Anne Baumgart ist ursprünglich in unserer Mitgliederzeitschrift (05/2024) erschienen.

Weitere Artikel zum Thema
Herbst

Top 10: Winterblues und Psyche

Winterblues und Psyche

In den Wintermonaten haben nicht wenige Menschen ein Stimmungstief – sei es, weil neue Aufgaben, Vorsätze oder Veränderungen Stress mit sich bringen, oder sei es, weil die dunkle Jahreszeit und schlechtes Wetter bedrückend auf die Psyche wirken. Wir haben Ihnen 10 Tipps gegen den Winterblues…

weiterlesen
Kreuzkümmel

Das passende Gewürz für die nasskalte Jahreszeit: Kreuzkümmel

Gesundheitstipp des Monats 11/2020:

Jetzt ist wieder die passende Zeit für einen richtig leckeren warmen Eintopf – gerne auch mit Kreuzkümmel verfeinert, denn das Gewürz sorgt mit seiner verdauungsfördernden Wirkung für eine bessere Bekömmlichkeit.

weiterlesen
Faustformel für gesunde Ernährung: 30 pro Woche

Faustformel für gesunde Ernährung: 30 pro Woche

Gesundheitstipp des Monats 1/2024:

Je größer die Bandbreite an pflanzenbasierten Lebensmitteln in der Ernährung, desto stabiler und widerstandsfähiger ist das menschliche Darmmikrobiom und desto geringer ist das Risiko, an Zivilisationsleiden zu erkranken.

weiterlesen
Das Power-Frühstück: Ein gesunder Start in den Tag!

Das Power-Frühstück: Ein gesunder Start in den Tag!

Beim Thema Frühstück gehen – wie bei vielen Ernährungsthemen – die Meinungen auseinander. Es gibt Frühstücksverweigerer, die am Morgen keinen Bissen essen können und am liebsten nüchtern in den Tag starten. Andere frühstücken gemäß dem alten Sprichwort „. . . wie ein Kaiser, wie eine Kaiserin“ und…

weiterlesen

Mitglied werden

Werden Sie jetzt Mitglied bei Natur und Medizin e.V. und Teil unserer starken Gemeinschaft für Naturheilkunde und Homöopathie.

mehr erfahren

Mitgliedschaft verschenken

Verschenken Sie eine Mitgliedschaft bei Natur und Medizin e.V. – verschenken Sie ein Stück Gesundheit.

mehr erfahren

Sollten Sie noch Fragen haben, freuen wir uns über Ihren Anruf unter 0201/56305-70

Anne Baumgart

Anne Baumgart ist Heilpraktikerin und Yang Sheng-Coach mit eigener Praxis im Zentrum Münchens. Sie unterstützt mithilfe der Chinesischen Medizin seit 2015 Menschen mit Schmerzen, Neuralgien, Erschöpfung und Kinderwunsch dabei, die Kunst der Selbstfürsorge dauerhaft in ihren Alltag zu integrieren und so eine deutliche Steigerung von Energie, Vitalität und Zufriedenheit zu erfahren. www.naturheilpraxis-baumgart.com