Naturheilkunde
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Selbsthilfe bei Lebenskrisen

Selbsthilfe bei Lebenskrisen

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Angst Depression Stress

Vor allem die Ereignisse der letzten Jahre zeigen uns, wie verwundbar wir sind, wie fragil die Gesamtsituation ist – Coronakrise, Klimakrise, Hochwasser, dann der Ukraine-Krieg, der Angst macht und Verunsicherung hervorruft. Viele Menschen fühlen sich allein und allein gelassen, zunehmend überfordert in einer bedrohlich erscheinenden, unübersichtlichen Welt. Es scheint keine Sicherheiten mehr zu geben. Wir kämpfen im und mit dem Alltag. Viele haben finanzielle Sorgen. Die Hausarztpraxen sind voll und die Psychotherapiepraxen völlig überlaufen.

Unzählige Menschen warten aktuell auf einen Therapieplatz. Viele Menschen benötigen aufgrund ihrer psychischen Symptome und psychiatrischen Diagnose einen Profi – es gibt aber auch Menschen, bei denen eine professionelle psychotherapeutische Behandlung nicht zwingend erforderlich ist.

Psychotherapie heißt wörtlich „Heilung der Seele“. Allein schon daran können wir erkennen, dass wir immer noch etwas anderes brauchen als nur eine professionelle Begleitperson. Diese kommt unter bestimmten Umständen ins Spiel und scheint manchmal alternativlos, ist aber nicht selten auch durch einen anderen Menschen aus dem eigenen Umfeld ersetzbar. Denn auch andere Menschen mit Weisheit, Lebenserfahrung, Großherzigkeit und Weitblick können uns dabei behilflich sein, auf den eigenen Weg zurückzufinden oder einen neuen Weg einzuschlagen. Sie können uns mitfühlend und wohlwollend begleiten.

Viele Menschen profitieren zunächst von einem friedlichen, freundlichen, offenen und vorurteilsfreien Gegenüber, der ihnen geduldig und liebevoll zuhört. Indem er sie einlädt, von sich zu erzählen, erschafft er einen Raum, in dem Neues entstehen kann. Der andere Mensch ist in diesem Moment für Sie und mit Ihnen da und hilft bei allem, was passiert: Er kann Sie festhalten, Ihre Hand halten, Sie begleiten und Ihnen geben, was Sie brauchen. Dies ist sehr häufig der beste Anfang, um Klarheit zu gewinnen und weiterzukommen.

Psychotherapie braucht manchmal – aber nicht immer – einen Profi!

Neben diesem Gespräch mit einem vertrauten Menschen gibt es vieles, was wir selbst tun können, um an unseren psychischen Problemen zu arbeiten – zum Beispiel auch, während wir auf einen Therapieplatz warten.

In meiner Sprechstunde gebe ich meinen Patientinnen und Patienten verschiedene Werkzeuge auf den Weg, mit deren Hilfe sie möglichst gut und unbelastet leben können. Ich möchte ihnen Dinge an die Hand geben, die wirksam sind und helfen, für die sie keine Erfahrung brauchen. Um es einfacher zu gestalten, nenne ich diese Werkzeuge „Schlüssel“. Damit lege ich die aus meiner Praxis- und Lebenserfahrung heraus wichtigsten Gedanken und Erkenntnisse dar, die sie auf ihre eigene Weise auf ihr Leben anwenden können. Ich möchte Ihnen ausgewählte Schlüssel in diesem Artikel vorstellen.

Erste Hilfe in einer Krise

Egal, wo Sie sich in Ihrem Leben verlaufen oder nur einen Umweg gemacht haben, ob Sie ganz woanders sind als Sie sein wollten oder schon ziemlich nah am Ziel: Gute Worte, Verbindung und Verbundenheit, Vertrauen und Zuwendung helfen uns allen, egal wo wir sind. Dies schließt auch die Verbindung nach innen ein, die wir durch bewusste Atmung und über unsere Sinne herstellen können.

Insbesondere in einer Krise ist es essenziell, über die Sinne einen direkten Zugang zu sich selbst zu erlangen und zu lernen, wie man sich unmittelbar selbst beruhigen kann.

Schlüssel: Notfallkoffer für die Sinne

Die Anregungen der Sinne können uns dabei helfen, uns zu beruhigen und zu regulieren, und zwar oft unmittelbar. Die Riechsinn ist der älteste unserer Sinne und wirkt daher am schnellsten. Ich habe zum Beispiel ein Deo meiner verstorbenen Oma im Badezimmerschrank stehen, das auch heute noch ihren typischen Geruch verbreitet und mich auf diese Weise berührt.

Mein Tipp: Ein selbst zusammengestellter Notfallkoffer mit Dingen, die uns persönlich anregen und über alle Sinne berühren (Riechen, Sehen, Hören, Tasten, Schmecken), kann auf mehreren Ebenen helfen: zum einen durch die darin enthaltenen Gegenstände, zum anderen auch durch seine bloße Verfügbarkeit. Der Koffer kann zum Beispiel Fotos von geliebten Menschen, eine Spieluhr, eine weiche Decke oder eine gut riechende Creme enthalten. Ziel ist es, sich im Notfall über die fünf Sinne einen direkten Zugang zum Inneren zu bahnen, um sich zu erden und zu beruhigen, sich in gewisser Weise in das Jetzt zurückholen zu können. Kaufen Sie sich ein kleines Köfferchen und befüllen Sie es mit mindestens jeweils einem Gegenstand für jeden der fünf Sinne, nach Belieben gerne auch mit mehr.

Atmung bringt Ruhe und Entspannung, und zwar direkt.
Atmung bringt Ruhe und Entspannung, und zwar direkt.

Schlüssel: Selbstfürsorge und Eigensinn

Selbstfürsorge fängt im Grunde damit an, dass wir einen Sinn für uns selbst, für unser Eigenes entwickeln.

Einen Sinn für das Eigene zu entwickeln bedeutet, sich selbst und seine Bedürfnisse zu kennen, sich gut um sich selbst zu kümmern und für sich selbst Verantwortung zu übernehmen.

Wir können in dem Moment zum Schöpfer unseres Schicksals und Lebens werden, in dem wir volle Verantwortung für uns, unsere Gedanken, Gefühle und Handlungsweisen übernehmen und aufhören, wen oder was auch immer anzuklagen. Hierbei geht es nicht um ein egozentrisches „Um-sich-selbst-kreisen“ oder ein egoistisches „Zuerst-ich-dann-die-Anderen“, sondern darum, in uns selbst Ruhe und Klarheit zu schaffen, damit wir uns auch nach außen tragen können. Unsere Befindlichkeit ist mit der der Menschen um uns herum verbunden – wenn es uns selbst gut geht, geht es den Menschen um uns herum in der Regel auch gut.

Schlüssel: Unsere Atmung

Es ist eine Tatsache, dass die Atmung der gemeinsame Nenner aller funktionierenden Entspannungsverfahren ist und bewusstes, tiefes Atmen dazu führen kann, dass wir im Ganzen ruhiger, gelassener und stärker werden.

Folgende Übung kann in angespannten Situationen helfen:

  • Stellen Sie sich stabil und aufrecht hin und schließen Sie die Augen.
  • Nehmen Sie wahr, dass Sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen und von diesem gehalten werden.
  • Lassen Sie die Arme locker hängen und nehmen Sie bewusst einen tiefen Atemzug durch die Nase.
  • Spüren Sie nun in sich hinein: Wie fühlen Sie sich? Merken Sie, wie Sie ruhiger werden, wie Sie Ihren Körper bewusster wahrnehmen?

Meiner Meinung nach ist es egal, welchen Weg wir wählen, um unsere Atmung zu vertiefen. Hauptsache, wir finden etwas, das zu uns passt. Das kann Meditation sein, Autogenes Training, Yoga oder Qigong. Allein selig machend ist keine dieser  Methoden, aber sie alle können sehr hilfreich dabei sein, unseren sogenannten „Resilienzmuskel“ zu trainieren, auf unsere seelische „Haben“-Seite einzuzahlen, uns von innen heraus zu stärken. Resilienz ist ein anderer Begriff für seelische Widerstandskraft. Übrigens bin ich aus meiner eigenen Erfahrung heraus überzeugt davon, dass regelmäßiges Meditieren den allermeisten Menschen helfen kann, im Ganzen ruhiger, gelassener und entspannter zu werden. Ich habe mir eine App auf meinem Handy installiert, die mich (fast) jeden Morgen auf den Tag einstimmt.

Depression

Depression

Möglichkeiten und Grenzen einer homöopathischen Begleitung, Komplementärmedizin und Ordnungstherapie

Annette Kerckhoff · Otto Ziehaus

ISBN: 978-3-945150-64-1
Erscheinungsjahr: 2016, 2. Aufl.

6,90 EUR

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Übung: Das Bild vom Brunnen

Wir können uns vorstellen, dass wir in einem Brunnen stehen, dessen Quelle unablässig sprudelt. Wir werden gut genährt und gewässert, solange wir selbst die Quelle rein halten, sie von allem Unrat befreien, dafür sorgen, dass nichts sie verstopfen, ihren Fluss unterbrechen kann. Solange wir das tun, wird immer genügend Wasser da sein, das auch für die anderen da ist – die Quelle sprudelt ja. Wir halten die Quelle rein, sorgen damit für uns selbst und auch dafür, dass ständig Wasser überläuft, mit dem auch alle anderen versorgt werden können. Kümmern wir uns nicht mehr genug um die Quelle und lassen zu, dass diese verstopft, sitzen wir irgendwann auf dem Trocknen und die Menschen um uns herum auch. Zunächst jedoch, in der Übergangsphase, schöpfen wir das restliche Wasser zusammen, um es nach draußen zu geben – es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis es sich erschöpft, und dann sitzen alle auf dem Trocknen. Dann können wir auch niemandem anderen mehr helfen.

Besonders viele Frauen haben große Schwierigkeiten damit, sich zu positionieren, zu behaupten und ihre Bedürfnisse zu äußern. Es steckt tief in uns drin, dass man sich erst einmal an den Bedürfnissen der anderen, insbesondere der Kinder und der Eltern, ausrichten muss, sodass man sich selbst, das Eigene, darüber vergisst bzw. dieses gar nicht erst entdeckt. Niemand trägt die Schuld an diesem Umstand, doch wenn wir erkennen, dass es so ist, können wir etwas daran ändern.

Solange unsere Quelle sprudelt, können wir für andere da sein.
Solange unsere Quelle sprudelt, können wir für andere da sein.

Mein eigenes Mini-Erwachen

Auch mir persönlich wuchs eine Zeit lang alles über den Kopf, die Vollzeittätigkeit in der Psychiatrie inklusive 24-Stunden-Diensten mit zwei halbwüchsigen Töchtern und einem ebenfalls voll arbeitenden Ehemann. Rückblickend weiß ich nicht mehr, wie ich das alles geschafft habe, wir alle haben darunter gelitten. Ich war so sehr im „Alles-muss-irgendwie-gehen“ gefangen, dass ich im Begriff war, mich selbst aus den Augen zu verlieren. Der Impuls zur Veränderung zum Positiven wurde durch meine damalige Therapeutin gesetzt, die mir verordnete, nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus erst einmal eine Kaffeepause einzulegen, ehe ich mit dem Kochen oder sonstigen häuslichen To-dos weitermachte. Ich hatte Angst vor diesem Schritt, da ich dermaßen im Turbo-Modus unterwegs war, dass mir die Befolgung dieser Anregung kaum möglich erschien. Zum Glück erfasste ich intuitiv die Bedeutung dessen und zwang mich regelrecht zur Umsetzung, was der erste wichtige Schritt in Richtung Entschleunigung war. Am ersten Tag war es mir kaum möglich, am zweiten ging es mir schon besser und schließlich wurde es immer leichter, bis es mir zur Gewohnheit geworden war. Ich wurde dadurch bestimmt nicht zu einem viel entspannteren und ausgeglicheneren Menschen. Aber es war ein persönliches Mini-Erwachen. Wenn ich mich entspanne und auftanke, bin ich ruhiger, gelassener und vor allem wirklich „da“.

Eigensinn ohne Angst

Eigensinn, den Weg für das Eigene zu entwickeln, den eigenen Weg zu gehen, bedeutet auch immer, dass uns die Angst vor der Scham begleitet, die Angst, ausgestoßen zu werden, aus der Verbindung zu fallen oder als schlechter Mensch dazustehen. Es bleibt also eine echte Herausforderung, den eigensinnigen Weg zu gehen, weil wir anders konditioniert und geprägt sind und weil wir die Angst immer im Gepäck haben. Der Schlüssel zur Umsetzung liegt darin, sich die Sinnhaftigkeit dieses Vorgangs klarzumachen und sich bewusst für diesen Weg zu entscheiden. Dieser beinhaltet eine große, potenziell lebensverändernde Chance und führt uns im Idealfall zur Selbstermächtigung, zu unserer eigenen Macht und Stärke, zur Verbindung mit unseren Kraftquellen im Innen und Außen.

Der eigensinnige Weg hilft auch den Menschen um uns herum.

Eigensinn und Übernahme von Selbstverantwortung machen Sinn und helfen nicht nur uns selbst, sondern auch den Menschen um uns herum. Erstens bekommen sie unser Bestes zu sehen, zweitens werden sie frei, weil sie sich nicht mehr verpflichtet fühlen, für unser Glück zu sorgen. Den eigensinnigen Weg zu gehen, erfordert dennoch Mut. Wir haben die Angst stets im Gepäck, ausgestoßen zu werden oder auch als schlechter Mensch angesehen zu werden.

In diesem Beitrag habe ich Ihnen drei der insgesamt 27 Schlüssel präsentiert (alle Schlüssel finden Sie in dem Ratgeber: „Psychotherapie für zu Hause“, TRIAS-Verlag, ISBN 978-3432117867). „Meine“ Schlüssel führen über „Erste Hilfe in einer Krise“ hin zu „Erkenntnis und Verhaltensänderung“ und „Erkennen von Stolpersteinen“. Ich möchte Ihnen mit Hilfe der Schlüssel Mut machen, neue Wege zu gehen und gebe Ihnen Anregungen, Krisen als Chancen sehen zu lernen.

Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben. Machen wir uns von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.

(Christian Morgenstern)

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Dr. med. Birgit Jakobs

Birgit Jakobs ist Ärztliche Psychotherapeutin mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung als Ärztin, davon etwa 18 Jahre im Bereich Psychiatrie und Psychotherapie. Sie führt seit 13 Jahren eine eigene Psychotherapiepraxis in Weyerbusch / Kreis Altenkirchen.